Wednesday, January 15, 2014

Abschied von Oma...

Als ich am Montag morgen auf mein Handy blickte, konnte ich kaum glauben, was ich da las. "Oma ist gestorben" - eine Nachricht von meiner Gotta. Wie bitte? Was? Wir waren doch gerad noch bei ihr! Am Donnerstag. Mein Vater, ich, und die Kinder. Der Besuch im Altersheim stand schon lange aus. Ich hatte ihren Geburtstag schon wegen eines Termines versäumt und gehofft, sie während der Feiertage bei meiner Tante anzutreffen. Dem war leider nicht so... Und als wir am Donnerstag dort waren, meinte ich zu Papa, dass wir Oma doch einmal mit zu uns nehmen könnten damit sie das neue Haus sehen kann. Sie war wie immer gut "zwäg", überhaupt nicht krank, gut gelaunt. Natürlich, 91 Lenze hatte sie schon hinter sich und ich müsste lügen, würde ich nicht sagen, dass ich bei jedem Gedanken an sie und bei jedem Besuch im Hinterkopf hatte, dass sie nicht ewig leben würde. Auch bei diesem letzten Besuch am Donnerstag war mir klar, dass sie wahrscheinlich der erste Mensch sein wird, dessen Tod meine Kinder mitbekommen würden. Aber dass es am Sonntag schon so weit sein würde, damit rechnete ich überhaupt nicht. Ich war perplex, erschrocken und natürlich traurig. Ich rief gleich meinen Vater an, der die Nachricht schon kannte. Er würde sich am selben Tag noch auf den Weg machen...
Offenbar bekam sie Atemprobleme und wurde noch ins Spital nach Chur eingeliefert. Doch helfen konnte man ihr wohl nicht mehr. Als ich meinen Mann anrufe um ihm die Nachricht zu überbringen, muss ich weinen. Auch vor den Kindern. Die Kleine versteht es noch nicht, der Grosse wohl auch nicht, ich glaube er nimmt es nicht so ernst. Wie auch? Wie nehmen Kinder so etwas überhaupt auf?
Ja, 91 Jahre alt war sie und sie lebte nun schon seit ein paar Jahren im Altersheim. Gesund war sie. Ihr Mann, mein Opa, starb lange vorher, er hatte Diabetes, Krebs, ziemlich aggressiv, die Bauchspeicheldrüse. Als Oma, wohl als eine Erscheinung des Alters, öfters zuhause stürzte und sich dabei zum Teil böse verletzte, war klar, dass sie besser rund um die Uhr überwacht werden sollte. Zuvor kümmerte sich meine Gotta häufig um sie, wohnte sie doch (wieder) im selben Haus. Oma fühlte sich nicht so ganz wohl im Altersheim. Schon vorher nahm ihr (Kurzzeit)gedächtnis etwas ab, so wiederholte sie bei Besuchen immer wieder, sie gehe jetzt dann wieder nach Hause, sie möchte nach Hause, ja, sie würde denen schon sagen, dass sie jetzt wieder heim wolle. Verständlich. Sehr. Obwohl das Heim wirklich nett und modern ist und sich die Angestellten sicher kümmern und auch viel Besuch kommt, so ist es halt doch nicht: das Zuhause. Aber es musste sein damit sie sich nicht noch ärger verletzt bzw. gleich bemerkt wird, wenn etwas geschieht. Ich glaube, Oma nervte sich zum Teil über die "Ratschweiber". Überhaupt: Mir fielen fast nur Frauen auf im Heim... Schon dort war sie als mein Sohn zur Welt kam. Da das Heim direkt neben dem Landesspital liegt, begleitete man sie zu einem Besuch auf mein Zimmer. Das fand ich sehr schön, so konnte sie als eine der ersten ihren Urenkel begrüssen.
Im Zimmer von Oma im Heim gab es ein Gästebuch. Ich las immer wieder gern darin. Oftmals beschwerte sich Oma über zuwenig Besuch aber das Buch war immer gut gefüllt und man musste sie nur darauf hinweisen: "schau, gestern war XY hier und heute hattest Du auch schon Besuch von YX..." Natürlich vergass sie das fortwährend. Und verabschiedete man sich nach einem Besuch so sagte sie stets "geht ihr schon wieder?" Das tat einem dann sehr leid... Manchmal wurde auch sie zum Essen gerufen und antwortete sichtlich genervt: "jaja, ich komme ja gleich!" Dass man sie vom Besuch weglotsen wollte, das gefiel ihr nicht.
Ich hatte nicht dieses ganz enge Band zu Oma, das manche Enkel vlt zu ihren Grossmüttern haben mögen, vor allem nicht in den letzten Jahren, in denen ich selber eine Familie gründete. Aber doch hatte ich sie immer sehr gerne und wollte sie regelmässig besuchen, auch wenn öfter mal was dazwischen kam. So ist das, so war das schon bei meiner Mama und bei ihrer Mutter. Man lebt sein Leben und verdrängt, wie endlich es doch ist. Plötzlich sterben die Liebsten und man bereut, sie nicht öfter gesehen, gesprochen zu haben, war immer auf dem Sprung anstatt dass man inne hielt. Und so ist das immer noch...
Oma hatte 9 Kinder, viele Enkelkinder und auch Urenkel (meine Kinder ja z.B.). Für mich ist das heute als Zweifachmama unvorstellbar. Sie muss über viele Jahre lang fast dauernd schwanger gewesen sein. Sie brachte wahrscheinlich das ein oder andere Kind zuhause auf die Welt. Sie hatte bestimmt ständig alle Hände voll zu tun. Doch schon in meiner Kindheit war die Oma für mich einfach eine Oma, eine alte Frau. Und das ist fast 30 Jahre her! Unvorstellbar für mich also auch ihr Alter! 91! Das ist fast das Dreifache meines Alters! Es ist schön, 91 Jahre lang gesund verleben zu können, ohne allzu grosse Sorgen. Aber gerne wüsste ich mehr über ihren Alltag als sie in meinem Alter war. Mein Vater erinnert sich leider kaum an seine Kindheit, man erfährt nur Bruchstücke. Und sie selber berichtete auch nie viel davon und natürlich habe ich sie erst in den letzten vier Jahren dazu befragt. Und sie sagte immer zu mir: "Jetzt ist Dir sicher nicht mehr langweilig, Mädchen!" Sie lachte. "Jetzt hast Du aber zu tun mit den Zweien!" Und das wiederholte sie natürlich bei jedem Besuch. Sie vergass mal die Namen, mal dies und jenes und fragte immer: "Wohnst Du noch im Schaanwald?" Jaja... die Ruhe selbst, die Oma. Eigentlich immer. Ich war stets gerne bei ihr als Kind. Es gab meistens was zu naschen oder ich durfte fern sehen oder irgendwas spielen. Sie hatten auch lange Hunde. Oma war nicht zu streng zu mir. Das Haus war gross und oft gingen wir mit den Hunden raus oder ich streunerte durch die Garage, unterhalb und neben des Hauses. Die Mühleholz-Garage. Mein Opa hatte sie aufgebaut, ein Familienbetrieb. 5 seiner Kinder waren dort beschäftigt (darunter mein Vater), zeitweise auch mein Cousin. Bei 9 Kindern durfte gerade der Älteste das Gymnasium besuchen und studieren, die anderen wurden im Betrieb gebraucht. Meine Tante konnte nicht einmal eine Lehre machen. Mein Vater wollte auch nicht unbedingt Automechaniker lernen, eine Wahl hatte er damals aber nicht.
Oma, die Familienpatronin, die alle zusammen hielt. Die schönsten Erinnerungen habe ich an die Feiertage, die immer alle Familienmitglieder bei Oma und Opa zusammenführte. Wir trafen uns nach Mittag im grossen Wohnzimmer mit Cheminée und verweilten bis zum Abend. 9 Kinder, viele Enkelkinder... mit meinen Cousins und Cousinen tobte ich durchs Haus bis wir alle ganz verschwitzt waren und völlig ausser Atem. Wir bespielten unsere Weihnachtsgeschenke, assen viel, tranken, sassen am Feuer, Opa im Schaukelstuhl, richtig klassisch. Es war besinnlich, es war grossfamiliär, es war einfach nur schön. Darauf freute ich mich immer sehr. Auch an Neujahr kamen jeweils die meisten nochmals zusammen. Aber am 25. Dezember, das war ein Highlight. Nach Opas Tod schlich es sich leider langsam aus... alle gingen nach und nach ihren eigenen Weg, alles "individualisierte" sich.
Morgen findet die Trauerfeier statt. Zum ersten mal seit Jahren aber wahrscheinlich auch für lange Zeit das einzige mal, wird Oma für kurze Zeit alle wieder einen.
Ich würde gerne glauben, dass Oma jetzt im Himmel auf meine Mama trifft - und ihr vieles erzählt... von meinem Vater haben wir einen Kalender für 2014 bekommen, mit Fotos unserer Kinder. Auf dem Januarfoto ist auch Oma drauf. Nur auf dem Januarfoto. Zufall...?
Heute hatte ich einen sehr melancholischen Moment. Nach einer miserablen (Vor-Vollmond)nacht und einem anstrengenden Mittag, fuhr ich mit den Kindern schlafspazieren und sinnierte so. Dachte an die Oma mütterlicherseits und wie sie am liebsten den Krebs meiner Mutter übernommen hätte, sah, wie weh es ihr tat, dass ihre Tochter krank war. Sie starb 2 Jahre vor meiner Mutter. Sah die Trauer meiner Mutter, meines Bruders. 1 Jahr vor meiner Mutter starb der Schwiegervater, den ich nie kennen gelernt habe. Der Bruder meines Mannes starb. Und heuer also die Oma. Drei dieser Todesfälle geschahen im kalten Januar. Nie werde ich die eisige Kälte vergessen die kam nachdem meine Mutter ging. Nun also auch die letzte verbliebene Oma... Es macht einem die Endlichkeit des Lebens bewusst. Zwar habe ich nun eine eigene Familie, doch zu erleben wie die ursprüngliche, einst so glückliche Familie (und Verwandtschaft) aus den noch so spürbar nahen Kindheitstagen langsam auseinanderdriftet, tut weh. Früher waren die Familien wenigstens noch grösser, gaben mehr Halt.
Wir hatten es lustig am Donnerstag in der kleinen Damenrunde mit Oma. Die Kinder unterhielten alle bestens. Auch Oma war fröhlich wie eh und je, fragte dies und jenes und amüsierte sich darüber, wie viel ich jetzt ja zu tun hätte mit den beiden Wirbelwinden... staunte, dass die Maus selber eine Mandarine schälen kann. Ich kann es noch gar nicht richtig fassen, dass sie sich nur wenige Tage später für immer verabschiedet haben sollte... morgen wird es dann wohl klarer.
Leb' wohl, liebe Oma, wir werden Dich immer in bester Erinnerung behalten!


1 comment:

Andrea said...

Mein herzliches Beileid. Auch wenn die Oma schon alt war, ist es dennoch schwer, sie ziehen zu lassen. Der Tod ist nie einfach und immer steht man schockiert davor.

Alles Liebe für Euch
Andrea