Friday, January 31, 2014

Buchrezension: "Liebe & Eigenständigkeit" von Alfie Kohn

Die Kunst bedingungsloser Elternschaft, jenseits von Belohnung und Bestrafung

Ich habe es sowohl hier als auch auf anderen Kanälen nach der Lektüre bereits mehrfach geteilt: Dieses Buch ist ein Augenöffner!
Alfie Kohn zeigt auf, was wir wohl intuitiv alle schon wissen aber nicht näher verfolgen weil wir in herkömmlichen Erziehungslehren feststecken.
Vollkommen nachvollziehbar erläutert er mit wenigen Argumenten und mit wissenschaftlichen Studien noch belegt, warum Methoden wie Bestrafung (heute oft unter dem freundlicheren Begriff "Konsequenzen" bekannt) oder Belohnung nicht funktionieren und ein Resultat hervorbringen, das wir eigentlich gar nicht wollen.
Ich habe mir in den letzten Monaten sehr viele Gedanken über dem Umgang mit meinem Sohn (v.a. mit meinem Sohn) gemacht, mich mit den verschiedensten Leuten ausgetauscht und bin eben dadurch auch auf dieses Buch gestossen.
Ein wenig ahnte ich schon, wie oft und weshalb ich mich dereinst immer wieder in Sackgassen manövrierte, nach der Lektüre fiel der Groschen dann definitiv. Auch ich musste mir eingestehen, dass wir Eltern sehr oft unsere Liebe zum Kind an Bedingungen knüpfen, was einfach nicht sein darf. Verwehren wir z.B. die Gutenachtgeschichte (oder drohen damit), eines der wichtigsten Rituale des Tages, welches uns vor dem Schlafengehen versöhnt, den Tag abrundet und abschliesst und unser enges Band aufrecht erhält, nur weil es etwas getan hat, das uns nicht passt, sagen wir damit dem Kind indirekt: "Wenn du nicht XY machst (bzw. eben machst), dann habe ich Dich nicht mehr gern." So kommt es beim Kind an und das hat, immer wieder praktiziert, seine Konsequenzen auf unsere Bindung und auf die Entwicklung des Kindes.
Auch dass Strafen wie eine "Auszeit" oder der "stille Stuhl" kontraproduktiv sind und überhaupt nicht funktionieren, zeigt Kohn auf. Und instinktiv haben wir das auch selber schon gemerkt, weil die Kinder deswegen eine unerwünschte Handlung nicht von heute auf morgen einstellen. Warum Bestrafung versagt, erklärt Kohn wie folgt:
  • Sie macht Menschen wütend
  • Sie ist ein Vorbild für den Gebrauch (oder Missbrauch!) von Macht
  • Sie verliert mit der Zeit ihre Wirksamkeit
  • Sie untergräbt die Beziehung zu unseren Kindern
  • Sie macht Kinder egozentrischer
  • Sie lenkt Kinder von den wichtigen Dingen ab
Auch das Thema Lob/Belohnung steht unter grosser Kritik. In diesem Kapitel wird konkret aufgezeigt, wie wir es besser machen können. Es fällt auch der Begriff intrinsische bzw. extrinsische Motivation, was von hoher Bedeutung ist. Wir alle kennen das. Kind malt etwas (besser: kritzelt im Stile von Picasso daher...) und zeigt es: "Schau mal, Mama!" Die allermeisten erwidern völlig kritiklos: "Oh, wie toll" oder "schön hast Du gemalt" in frohlockendem Tonfall. Etwas salopp formuliert werfen wir dem Kind einen Hundekuchen vor. Das war jetzt noch das mindeste Beispiel, das geht ja dann immer weiter vom Fussballmatch bis zur Matheprüfung... Im besten Fall erzeugt ein Lob oder eine Belohnung Druck. Druck, weiter so zu machen, es vlt noch besser zu machen. 2. sinkt nun womöglich die Motivation für die Tätigkeit weil es nicht mehr ums Malen geht sondern nur noch darum, dafür ein Lob zu bekommen und 3. wird sie vlt sogar völlig aufgegeben weil das Kind nicht das Risiko eingehen will, vlt kein Lob dafür zu bekommen. Fatal! Positive Verstärkung ergo? Vergessen Sie's!
Im Umgang mit Kindern erwähnt Alfie Kohn 3 wichtige Aspekte:
  • bedingungslose Liebe ausdrücken
  • Kindern mehr Gelegenheit zu eigenen Entscheidungen geben
  • die Perspektive des Kindes einnehmen.
Ausserdem formulierte er 13 Grundsätze:
  1. Denken Sie nach
  2. Überdenken Sie Ihre Forderungen
  3. Behalten Sie Ihre langfristigen Ziele im Blick
  4. Setzen Sie die Beziehung an erster Stelle
  5. Ändern Sie Ihre Sichtweise, nicht nur Ihr Verhalten
  6. Zeigen Sie Respekt
  7. Seien Sie authentisch
  8. Weniger reden, mehr fragen
  9. Berücksichtigen Sie das Alter der Kinder
  10. Schreiben Sie den Kindern das bestmögliche mit den Tatsachen zu vereinbarende Motiv zu
  11. Sagen Sie nicht unnötig nein
  12. Seien Sie nicht starr
  13. Seien Sie nicht in Eile
Ich finde diese Punkte sehr hilfreich im Alltag, die Grundsätze sind im Buch natürlich ausformuliert, das würde aber hier den Rahmen des Blogs sprengen...
Stattdessen noch ein paar kurze Zitate, die ich gut fand:
Fähigkeiten von Kindern:
"Solche Eltern begreifen nicht, dass man von Kindern unter einem gewissen Alter einfach nicht erwarten kann, ordentlich zu essen oder sich in der Öffentlichkeit still zu verhalten."
Falls Sie nicht bereit sind, etwas von Ihrer Freizeit zu opfern, wenn Sie möchten, dass Ihr Haus ruhig und sauber bleibt, sollten Sie vielleicht darüber nachdenken, lieber tropische Fische grosszuziehen. 
Meine Empfehlung lautet, ja zu sagen, wann immer es möglich ist. (...) es braucht einen guten Grund, wenn man mit dem Vorgeschlagenen nicht einverstanden ist oder eingreift und etwas verbietet. (Als Bsp. nennt er den Wunsch des 10-Jährigen, ihm einen Imbiss zu bringen. Muss man unbedingt darauf bestehen, dass er sich selber einen holt oder soll man ein Bsp. dafür geben, wie man etwas Nettes für jemanden tun kann?)
"Grenzen austesten" - ein beliebter Satz im Bereich der Erziehung
Manchmal wird die Annahme, Kinder wollten uns testen, sogar als Begründung aufgeführt, sie zu bestrafen. Mein Verdacht ist jedoch, dass Kinder durch ihr Fehlverhalten vlt etwas völlig anderes testen wollen - nämlich die Bedingungslosigkeit unserer Liebe.
In diesem Sinne: Wenn Sie Eltern sind, kaufen Sie sich dieses Buch, unbedingt. Bei mir kommt es in die Liste der ganz wenigen Must-Haves in der Elternbibliothek. Ich hätte mir in diesem Buch sehr, sehr viel anstreichen können und ich kann es wirklich restlos weiterempfehlen. Es toppt meiner Meinung nach die Hitliste der Erziehungsratgeber, die aktuell so umherschwirren, um einiges. Hier kann man sich vieles rausholen und wenn nicht, dann regt es doch mit Bestimmtheit zum Denken an...

1 comment:

lieblingsbank said...

das buch erinnert mich an einen Artikel von Hannelore: http://rette-sich-wer-kann.com/selbstbestimmung/lob-und-tadel-die-selbstvertrauen-zerstorende-kraft/#.U0TmZGfNuHs
lg die liebe bank

PS auch lesenswert: https://essentialtimes.wordpress.com/2012/05/17/gut-gelobt-ist-halb-kritisiert/